NRW-Innenministerium vs. Völkerrecht

Quelle: pixabay / Künstler: Ezequiel_Octavian

Es wurde bereits an anderer Stelle dargelegt, wie das NRW-Innenministerium (IM) Palästina Solidarität Duisburg (PSDU) unter Verwendung der IHRA-Definition in unhaltbarer Weise Antisemitismus vorwirft. Und auch, dass es der Gruppe unterstellt, klassische antisemitische Narrative zu verbreiten, indem es ihre Aussagen verdreht.

Aber das IM geht noch weiter – und erklärt sogar eindeutig vom Völkerrecht gedeckte Meinungen und Positionen für „antisemitisch“.

 

Rückkehrrecht? Vernichtung!

So heißt es in der Verbotsverfügung, „ein uneingeschränktes Rückkehrrecht palästinensischer Flüchtlinge und ihrer Nachkommen“, zu dem sich PSDU in seinem Grundkonsens bekannt habe (wobei das Wort „uneingeschränkt“ wieder einmal vom Innenministerium, und nicht von PSDU stammt), „würde in der praktischen Umsetzung das Ende des israelischen Staates bedeuten“. Daher sei diese Forderung antisemitisch.

Für nicht erwähnenswert halten die Autoren der Verfügung allerdings die Tatsache, dass das Rückkehrrecht der Palästinenser durch die UN-Resolution 194 von 1948 gedeckt ist. Oder dass mit der UNRWA sogar eine eigene UN-Institution existiert, die u. a. Genau dieses Ziel gewährleisten soll. Also wären der Logik des NRW-Innenministeriums zufolge auch diese UN-Resolution, die UNRWA oder sogar die gesamte UNO „antisemitisch“.

 

Apartheid? Antisemitismus!

Im Übrigen: Die Aussage der Verbotsverfügung, dass Israel nach der durch die UNO garantierten Rückkehr der aus ihrer Heimat vertriebenen Palästinenser nicht mehr der Staat wäre, der er heute ist, ist dem Inhalt nach richtig. Aber das spricht nicht gegen das Rückkehrrecht, die UNO oder PSDU, sondern viel mehr gegen diesen Staat Israel, der sich ethno-religiös definiert.

Und damit kommen wir zum nächsten Punkt: Weil der realexistierende Staat Israel nämlich ein Staat ist, der sich ethno-religiös definiert, kann es niemanden überraschen, dass in Palästina Apartheid herrscht. Diese Tatsache ist von verschiedenen anerkannten Menschenrechtsorganisationen, wissenschaftlichen und UNO-Institutionen und nicht zuletzt von südafrikanischen Freiheitskämpfern hinlänglich belegt worden. Aber auch für diesen Vorwurf wurde PSDU vom IM NRW Antisemitismus angedichtet.


Besatzung? Umstritten!

Auch dass Israel eine illegale Besatzung nicht nur über das Westjordanland, sondern auch den Gazastreifen errichtet hat, wurde erst kürzlich in einem Gutachten des Internationalen Gerichtshofs (IGH) bestätigt. Pro-israelische Lobbyisten behaupten gerne, dass Gaza nicht besetzt sei, weil 2005 die Armee und die Siedler abgezogen wurden. Seither hat Tel Aviv aber eine vollständige Blockade um den Küstenstreifen errichtet, weshalb es sich um eine de facto Besatzung handelt, und noch dazu um eine, die jeglichem Kriegsrecht widerspricht.

Im zionistischen Diskurs werden die 1967 besetzten Gebiete häufig als „umstrittene“ Gebiete bezeichnet. D. h. wenn Israel den „Streit“ gewinnt, darf es diese Gebiete behalten. Die PSDU-Verbotsverfügung macht sich den israelischen Diskurs zu eigen: Die 1967 besetzten Gebiete werden dort als Gebiete, „die völkerrechtlich umstritten sind“, bezeichnet. Auch damit steht die PSDU-Verbotsverfügung nicht nur im Widerspruch zur offiziellen Haltung der Bundesregierung, die ja vorgeblich für eine Zweistaatenlösung eintritt, sondern auch zum Völkerrecht und zahlreichen UN-Resolutionen.

 

Israel? Vom Fluss bis zum Meer!

Neben diesen angeblich „völkerrechtlich umstrittenen“ Gebieten verfüge Israel aber auch über ein „Kerngebiet“, das „völkerrechtlich anerkannt“ sei. Welches genau das ist, wird nicht dargelegt. Israel verfügt nämlich über keine offiziellen Staatsgrenzen. Entsprechend ist auch das „Kerngebiet“ Israels nicht definiert: Israel in den Grenzen von 1967 umfasst 80% Palästinas, im UN-Teilungsplan waren aber „nur“ 56% für den „jüdischen Staat“ vorgesehen. Israel hat sich 1947-49 ein Gebiet einverleibt, das im UN-Teilungsplan für den Staat Palästina vorgesehen war und etwa 24% ganz Palästinas ausmacht;[12] diese 24% gelten ebenfalls als „Kerngebiet“ Israels, obwohl sie eindeutig entgegen des UN-Beschlusses annektiert wurden.

Tatsächlich erhob die zionistische Bewegung stets Anspruch auf ganz Palästina – man verfolgte aber aus taktischen Gründen eine „Salamitaktik“.[14] Die radikale Rechte, die in Israel seit 30 Jahren ununterbrochen die Regierungen stellt, bekennt sich allerdings schon lange offen zur Eroberung ganz Palästinas. Erst kürzlich erklärte das israelische Parlament erneut, es lehne „die Schaffung eines palästinensischen Staates westlich des Jordans“, also in Palästina, „entschieden ab“.

Scheinbar bekennt sich auch das NRW-Innenministerium mittlerweile zu diesem Ziel. Jedenfalls wird in der Anlage zum PSDU-Verbot das PSDU-Logo wie folgt beschrieben: Es zeige den „Umriss des Staates Israel“ und die „Flagge der palästinensischen Autonomiegebiete“. In Wahrheit zeigt das Logo die Karte und die Nationalfahne Palästinas. Während man also im IM NRW ganz Palästina (einschließlich Westbank und Gazastreifen) ungeniert als Israel bezeichnet, spricht man der palästinensischen Nationalbewegung zugleich ihren nationalen Charakter gänzlich ab.

 

Widerstand? Terrorismus!

Die Verbotsverfügung bezeichnet jeglichen Widerstand gegen die illegale israelische Besatzung und Apartheid als „terroristisch“. Selbst „Steinwürfe“ werden als „gewaltsame Handlungen“ in die Nähe von „terroristischen Aktionen“ gerückt. Auch Organisationen, die weder auf der EU-Terrorliste stehen, noch in Deutschland einem Betätigungsverbot unterworfen sind, werden von den Autoren eigenmächtig als „terroristisch“ eingestuft. Weil PSDU sich positiv auf das Recht des palästinensischen Volkes, Widerstand zu leisten, berufen hat, hat ihm das NRW-Innenministerium vorgeworfen, gegen die Völkerverständigung und damit verfassungsfeindlich zu sein.

Tatsache ist aber, dass jedes Volk unter Kolonialherrschaft, Besatzung und Apartheid das Recht auf Widerstand hat. Und dieses Recht schließt auch Gewalt, bis hin zum bewaffneten Kampf, ein:

•   Artikel 51 der UN-Charta gesteht jedem UN-Mitglied zu, sich „im Falle eines bewaffneten Angriffs“ zu verteidigen. Auch wenn Israel, Deutschland und andere westliche Staaten Palästina bis heute nicht als Staat anerkennen: Das palästinensische Volk ist ein von der UNO anerkanntes Völkerrechtssubjekt, dem die entsprechenden Rechte zustehen – einschließlich des Selbstverteidigungsrechts.

•   Die UN-Resolution 2625 von 1970 betont das Recht der Völker auf „Aktionen und Widerstand“ gegen „gewaltsame Maßnahmen zur Ausübung ihres Rechts auf Selbstbestimmung.“ Und die UN-Resolution 45/130 von 1990 „bekräftigt die Legitimität des Kampfes der Völker für Unabhängigkeit, territoriale Integrität, nationale Einheit und Befreiung von der Kolonialherrschaft, Apartheid und ausländischer Besatzung mit allen verfügbaren Mitteln, einschließlich des bewaffneten Kampfes“.

 

Genozid? Selbstverteidigung!

Auch der Vorwurf, dass Israel im Gazastreifen einen Genozid verübt, wird in der Verbotsverfügung wiederholt als „antisemitische“ Aussage gewertet. Schon zu dem Zeitpunkt, als die PSDU-Verbotsverfügung geschrieben wurde, war bekannt, dass der IGH, UNO-Gremien sowie Human Rights Watch von ernstzunehmenden Hinweisen auf einen Völkermord in Gaza ausgehen. Nicht nur Israel saß zu diesem Zeitpunkt bereits wegen des Verdachts auf Genozid auf der Anklagebank des IGH, sondern auch Deutschland wegen des Verdachts auf Beihilfe zum Völkermord. Das Lemkin Institute for Genocide Prevention erklärte im Ende Mai 2024, zwei Wochen nach dem PSDU-Verbot, dass Israel einen Völkermord begehe und die USA Beihilfe leisteten.

 

Gerechtigkeit? Willkür und Repression!

Deutschland nimmt für sich in Anspruch, Völkermorde, Verbrechen gegen die Menschheit und Kriegsverbrechen auch dann strafrechtlich zu verfolgen, wenn diese im Ausland begangen werden. Dafür gibt es seit 2002 das Völkerstrafgesetzbuch (VStGB). Hinzu kommen im regulären Strafgesetzbuch (StGB) die Paragraphen 130 (der u. a. die Leugnung oder Verharmlosung von Völkermorden ahndet) und 140 (der u. a. die Billigung oder Belohnung von Kriegsverbrechen unter Strafe stellt).

Sowohl das VStGB als auch die Paragraphen 130 und 140 StGB sind äußerst kritisch zu sehen, denn sie werden vor allem gegen Personen eingesetzt, die der deutschen Regierung ein Dorn im Auge sind: So wurden seit Oktober 2023 mutmaßlich hunderte Anzeigen sowie mehrere Hausdurchsuchungen auf Grundlage der beiden StGB-Paragraphen gegen Menschen forciert, die sich pro-palästinensisch geäußert haben. Wichtiger wäre es jedoch, auf Grundlage dieser Gesetze deutsche Regierungspolitiker zur Rechenschaft zu ziehen, die den Genozid in Gaza verharmlosen, leugnen oder sogar aktiv unterstützen.

Und auch im Fall des PSDU-Verbots zeigt sich: Repression erfahren in Deutschland diejenigen, die sich in ihrem Kampf gegen Kolonialismus, Apartheid, Genozid und andere Menschheitsverbrechen vollkommen auf das Völkerrecht berufen können. Dagegen sind es die Behörden, die grün-schwarze NRW- und die Ampelparteien der Bundesregierung selbst, die gegen das Völkerrecht in allen erdenklichen Formen verstoßen und dafür vor Gericht gehören!


[12] Alexander Flores: Die arabische Welt (Reclam 2008), S. 219

[14] Ilan Pappe: Was ist los mit Israel? (Cosmics 2017, 3. Auflage), S. 46

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